Olympia: DAS GROSSE INTERVIEW

 

«Olympia in der Schweiz? Ja, wir können das!»

 Jürg Stahl hat grosse Pläne. Der neue Swiss-Olympic-Boss und Nationalratspräsident will Olympia 2026 in die Schweiz holen.

Interview: Daniel Leu

Fotos: Toto Marti

 

Herr Stahl, waren Sie in der Schule gut in Mathematik?

Jürg Stahl: Ja, ich war typisch Bube eher ein Zahlenmensch.

 

Dann können Sie mir bei folgender Rechnung sicherlich helfen. Sie haben 2017 folgende Jobs: Nationalrats­präsident 70 Prozent, Swiss-Olympic-Präsident 50 Prozent und Groupe Mutuel 20 Prozent. Ergibt zusammen 140 Prozent!

Ich bin mir bewusst, dass ich dieses Jahr viel zu tun haben werde. Doch diese Prozentzahlen sind mit Vor­sicht zu geniessen, da sie auf einer 42-Stunden-Woche basieren und ich schon immer mehr gearbeitet habe. Auch im Sport ist das ja üblich. Ich denke da an all die Trainer und Funktionäre, die oft ehrenamtlich arbeiten. Mich beunruhigt dieses Pensum nicht.

 

Trotzdem: Wie wollen Sie das schaffen?

Es ist auch eine Frage der Struktu­ren. Ich habe sowohl im Nationalrat als auch bei Swiss Olympic sehr gute Vize-Präsidenten und ein sehr gutes Team, das mich unterstützt.

 

Sie sind auch noch Vater der 13-monatigen Tochter Valerie. Müssen wir Mitleid mit Ihrer Frau haben, weil sie sich in diesem Jahr alleine um die Erziehung kümmern muss?

Nein, ich habe zum Beispiel gerade heute Morgen Valerie betreut. Wir führen eine normale und moderne Beziehung, wir haben das im Vorfeld der Wahlen abgesprochen. Das war keine Ich-Entscheidung. Mein Vor­teil als Jungvater in fortgeschritte­nem Alter: Ich bin gefestigt, ausba­lanciert und auch gelassen. Ich kann deshalb problemlos mal das Handy zur Seite legen und Papi-Zeit ein­ziehen. Gewisse Familien-Wochen­enden habe ich schon jetzt bewusst in der Agenda fix eingetragen.

 

Bislang turnten Sie jeden Donners­tagabend in der Männerriege. Werden Sie 2017 Zeit dafür haben?

Ich hoffe es. Mein Ziel ist es, jeden zweiten Donnerstag mitzuturnen, denn dies tut mir extrem gut. Das Zusammensein mit Freunden, das Turnen und Spielen, das ist ein guter Ausgleich, der mich auch im Job besser macht. Es stimmt aber, dass es das Fleisskreuzchen 2017 wohl eher nicht für mich gibt. Schade, denn als Belolmung gibt es Ende Jahr jeweils inm1er einen Salami.

 

Ihr Vater starb bereits mit 59 Jah­ren an einem Herzversagen. Haben Sie nicht Angst, dass Sie sich zu viel zumuten?

Nein, mein Gesundheitszustand ist sehr gut. Ich war damals 28 Jahre alt, als mein Vater starb. Ein ein­schneidendes Erlebnis. Sechs Mona­te zuvor übernahm ich die Drogerie von ilun. Er konnte dann das erste Mal fünf Wochen in die Ferien. Am zweiten Tag stellte plötzlich sein Herz ab. Es passierte genau in dem Moment, als er endlich einmal los­lassen konnte.

 

In der Drogerie Ihres Vaters lernten Sie den legendären Schweizer Kunstturner und Olympia-Helden Georges Miez kennen.

Er war ein Kumpel meines Vaters. Wenn er uns in Töss in der Drogerie besuchte, machte er immer den Handstand. Das hat mich als Kind extrem beeindruckt. Geor­ges war noch als alter Mann ein strammer Typ und sehr eloquent.

 

Ihre ersten Sport-Erinnerungen sind die von Sapporo 1972.

Meine Eltern kauften für die Olympischen Spiele 1972 extra einen Farbfernseher. Der kostete damals ein Vermögen. Sapporo war für mich prägend. Der Abfahrtssieg von Bernhard Russi war einmalig. Ich wollte damals un­bedingt so einen Russi-Helm, mach­te Zeichnungen von seinem schwarz­orangen Skianzug und sammelte Autogramme.

 

Als Jugendlicher waren Sie Kunstturner und Zehnkämpfer. Was fehlte zur Profi-Karriere?

Als Kunstturner war ich zu gross und als Zehnkämpfer zu klein. Mir erging es wie 1000 anderen auch, die hohe Ziele und Träume haben, es dann aber doch nicht ganz schaffen, da eine Profi-Karriere nur sehr wenigen vorenmalten bleibt. Ich kann damit gut leben.

 

Der Sport zieht sich trotzdem bis heute durch Ihr Leben. Sie waren unter anderem Präsident des FC Töss, Kampfrichter an der Leichtathletik-EM 2014 und Präsident des Swiss Cup.

Sport ist mehr als nur Bewe­gung oder Gewinnen­wollen. Sport ist eine Lebensschule. Man setzt sich Ziele, trainiert hart, muss sich vorbereiten, verzichtet auf einiges. Das kann man auch aufs Berufsleben adaptieren. Gerade in der heutigen Gesellschaft, in der alles schneller und verbissener geworden ist, kann Sport helfen, da er einfach Freude macht. Diese Freu­de, wenn man zum Beispiel ein Tor schiesst oder im Tennis ei­nen tollen Ball spielt, auch wenn es völlig unwichtig ist, die ist einmalig und tut gut.

 

Das Grösste für einen Sportler sind Olympische Spiele im eigenen Land. Sie sagen: «Winterspiele in der Schweiz sind realistisch.» Glauben Sie das wirklich?

Ja, wir können das. Dass wir Wett­kämpfe organisieren können, haben wir schon oft bewiesen. Bis auf Eisschnellauf und Shorttrack haben wir mit sämtlichen olympi­schen Winterdisziplinen Erfahrung. Und das IOC hat sich den neuen Gegebenhei­ten der letzten bei­den Dekaden sehr gut angepasst. Mit der Agenda 2020, die Spiele flexibler machen soll, sind Winterspiele in der Schweiz realistisch.

 

Olympische Spiele kosten sehr viel Geld. Würde man dieses nicht besser in die Sportförderung investieren?

Das ist eine berechtigte Frage, doch Olympische Spiele in der Schweiz gäben einen enormen Impuls, vor allem im Nachwuchs- und Breiten­sport. Sportförderung ist ein Zusammenspiel verschiedener Ele­mente - Olympische Spiele können ein wichtiger Teil davon sein. Später gäbe es aus diesen jungen Sport­Talenten wieder Stars, die dann wie­derum die Breite aktivieren würden. Nehmen Sie das Beispiel von Olym­pia 1948 in St. Mo ritz. Millionen von Postkarten mit den Motiven des Olympiaturms und der Bobbahn wurden damals - und heute noch - in die Welt hinausgeschickt. St. Mo­ritz wäre auch touristisch heute nicht dort, wo es ist. Auch wenn sich das nicht mit Geld aufwiegen lassen kann. Es braucht eben eine gesamte Sicht, um es beurteilen zu können.

 

Lassen Sie uns das Beispiel Fuss­ball-EM 2008 anschauen. Was hat die der Schweiz gebracht?

Auch dank der EM 2008 haben die Fussballklubs übervolle Warte­listen. Und der Frauenfussball ist der am stärksten wachsende Sport in der Schweiz. Die EM hat zwar viel Geld gekostet, uns aber auch viel gebracht. Wenn dank solchen Anlässen die Jugendlichen wieder mehr Sport treiben, hat das auch einen positiven Effekt auf die Gesundheit und die Zufrie­denheit. Das ist in Zeiten von Gewalt und vielen Unsicherheiten einiges wert.

 

Was sagen Sie einem heute zwölfjährigen Nachwuchssportler - wird er Olympia in der Schweiz erleben?

Ja, auch wenn ich es natürlich nicht garantieren kann. Wir brauchen eine gute Kandidatur, die internati­onal bestehen kann.

 

Mit Graubünden und Sion gibt es jetzt zwei Kandidaturen für Olympia 2026.

Beide Kandidaturen sind sehr gut und bieten ein starkes Fundament und interessante Konzepte. In der nächsten Phase, nach dem Ent­scheid von Swiss Olympic, arbeiten wir zusammen mit den Regionen an der Weiterentwicklung dieser Kon­zepte. Das Fundament ist besser als bei den letzten Projekten.

 

Im Bündnerland gab es seit 1980 sechs Olympia-Projekte, zuletzt für Olympia 2022. Alle scheiterten. Jetzt dürfen am 12. Februar die Leute wieder abstimmen über Olympia 2026. Ist das nicht eine Zwängerei?

Es ist in der Schweiz nichts Ausser­gewöhnliches, dass ein Vorhaben nicht im ersten Durchgang durch­kommt. Ich bin mir bewusst, dass diese fünf olympischen Ringe, die ich im Herzen trage, nicht überall gut ankommen und auch Gegner hervorrnfen. Vielleicht war das letz­te Projekt für 2022 einfach nicht gut genug. Aber schon damals war es an der Bevölkerung nur sehr knapp gescheitert. Und vier Jahre später erkennen viele Bündner, dass ihr Kanton einen neuen Schub braucht, und dass die Spiele ihm dazu verhel­fen können. Ich bin davon über­zeugt: Wenn ein Projekt gut ist, wie dieses für 2026, dann hat es auch gute Chancen durchzukommen.

 

Ist das nicht naiv - trotz Agenda 2020?

Nein, mit der Agenda 2020 will das IOC ganz klar, dass Spiele der nach­haltigen Entwicklung der Regionen, in der sie stattfinden, nutzen. Das ist eine einmalige Chance für eine Schweizer Kandidatur. Wir wollen zeigen, wie wir gute, herzliche, bodenständige Spiele organisieren können, die der gesamten Schweiz und auch der Olympischen Bewe­gung neue Impulse bringen. 

 

Dafür brauchen Sie auch die Unterstützung der Politik. Jörg Schild, Ihr Vorgänger als Swiss­Olympic-Präsident, hat gesagt: «Wir sind unzufrieden, mit dem, was wir auf Bundesebene erreicht haben». Hat er recht?

Ich rede nicht sehr gerne über Ver­gangenes. In den letzten 15 Jahren ging sowohl in Magglingen als auch im Bundeshaus einiges. Vieles wurde verbessert. Vor allem Dölf Ogi hat in seinen letzten Amtsjahren vieles ausgelöst.

 

Schild hat auch kritisiert: «Politi­ker zeigen sich gerne mit Medail­lengewinnern.»

Das ist doch ein gutes Zeichen, wenn sich die Politiker mit Sportlern zeigen. Aber die Kritik ist nicht ganz unbegründet; ich persönlich habe immer versucht, mich auf allen Ebenen für den Sport einzusetzen. Sport war für mich schon immer eine Herzensangelegenheit.

 

Swiss Olympic wollte im letzten Mai vom Bund 15 Millionen pro Jahr. Der Bundesrat hat dazu im Mai 2016 Nein gesagt. Jetzt muss das Parlament darüber entschei­den. Warum brauchen Sie unbe­dingt diese 15 Millionen?

Es geht nicht nur um den Betrag, sondern auch um die Wertschätzung. Wir sind nicht Bittsteller oder Subventionsjäger. Unsere Sport­schweiz leistet enorm viel. In vielen Bereichen. Wenn wir diese 15 Milli­onen richtig einsetzen, können sie uns helfen. Ein Beispiel: Wenn Lara Gut gewinnt, jubelt die ganze Schweiz. Doch auch hinter ihrer Karriere steckt ein erster Trainer und ehrenamtliche Helfer, und viel Kraft und Herzblut. Stephan Licht­steiner kam nicht als Nati-Spieler zur Welt, und Roger Federer nicht als Nummer 1. Mit 15 Millionen kön­nen wir Schwung holen und weitere Glücksmomente herbeiführen.

 

Sollte das Parlament die 15 Milli­onen nicht bewilligen, hätten Sie ein Problem. Dann würden auch die Kantone ihre 15 Millionen, die sie bereits zugesagt haben, zurückziehen.

Das ist in der Tat eine grosse Gefahr, vor der ich Respekt habe. Ich zähle auf den Ständerat, der das Geschäft zuerst berät. Und sind wir einmal ehrlich: 15 Millionen sind zwar ein schöner Betrag, aber wenn ich schaue, was im Sport alles ehren­amtlich gemacht wird, ist es doch relativ wenig.

 

Ihre Partei, die SVP, schrieb 2015: «Sport ist Privatsache und keine Aufgabe des Staates.»

Ich gebe es zu, das war leicht unglücklich formuliert. Natürlich beteiligt sich der Staat zum Beispiel an Infrastrukturen wie Turnhallen und Fussballfeldern. Trotz dieses Satzes - die SVP ist sportfreundlich und unsere Wähler sind das auch.

 

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