Gipfelgespräch

 

«Etwas schaffen, das Zukunft hat»

 

Hoher Besuch Nationalratspräsident Jürg Stahl und Ständeratspräsident Ivo Bischofberger kamen auf Einladung unserer Zeitung zum Gipfelgespräch auf den Säntis. Sie sind nicht erst in der Politik aufeinandergetroffen, und beide schätzen die Ehrenamtlichkeit.

 

Trotz Wochenendarbeit und strahlender Sonne draussen beschwingt: Bundespräsidentin Doris Leuthard und Nationalratspräsident Jürg Stahl am Treffen mit Freiwilligen.

Redaktion: Bruno Eisenhut / Patrik Kobler

 

Herr Stahl, weshalb haben Sie den Säntis als Treffpunkt ausgesucht?

Stahl: Ich habe einen engen Bezug zum Appenzellerland und zum Säntis, den ich übrigens von meiner Terrasse im zürcherischen Brütten aus sehe. Unsere Familie besitzt seit Jahrzehnten eine Ferienwohnung in Schwellbrunn. Weil er als Drogist am Samstag jeweils bis 16 Uhr gearbeitet hat, wollte mein Vater nicht wie viele Unterländer eine Ferienwohnung im Bünderland, sondern lieber eine im Appenzellerland. Er hatte keine Lust, am Walensee im Stau zu stehen.

 

Herr Bischofberger,als Appenzeller haben Sie ein Heimspiel. Welche Bedeutung hat für Sie der Säntis?

Bischofberger: Ich verbringe seit meiner Jugend Zeit im Alpstein. Als Historiker beschäftigte ich mich zudem mit der geschichtlichen Vergangenheit des Säntis, namentlich mit der Klärung der Grenzstreitigkeiten im 19. Jahrhundert. Wie es zum Kompromiss kam, dass drei Kantone am Berg partizipieren können, hat für mich heute noch eine starke Symbolik. Auch aktuell geht es nicht ohne Kompromisse, obwohl das von gewissen Kreisen gerne als Schwäche ausgelegt wird. Aufeinander Rücksicht zu nehmen ist die Erfolgsgeschichte der Schweiz.

 

Was sind Ihre bisherigen Höhepunkte – die Ratsdebatten oder die Reisen?

Stahl: Die Normalität der Ratsdebatten gehört zu meinen eindrücklichsten Erlebnissen. Wir sind privilegiert. Unser Staatsapparat funktioniert, auch wenn wir harte Auseinandersetzungen um Konsens haben. Ein Höhepunkt war auch der Staatsbesuch des Chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Beeindruckt hat mich, dass er mir sogar zum Geburtstag gratuliert hat.

Bischofberger: Oberste Priorität hat auch bei mir die effiziente und konstruktive Ratsarbeit. Aber das Treffen mit dem Chinesischen Staatspräsidenten war in der Tat sehr beeindruckend. Beim Treffen mit dem verantwortlichen Bildungsminister war unser duales Bildungssystem von breitem Interesse. Dabei wurden einem die Grössenverhältnisse und Unterschiede zwischen unseren beiden Ländern deutlich vor Augen geführt: Ich komme aus Innerrhoden mit 16 000 Einwohnern und 10 bis 20 offenen Lehrstellen. Er hingegen betreut 34 Provinzen, und in jeder Region warten Hunderttausende auf die Gelegenheit, eine entsprechende Ausbildung machen zu dürfen. Ähnliche Erfahrungen konnte ich in Singapur und Vietnam machen. Speziell gefreut hat mich die Einladung an die Vereidigung der Schweizer Gardisten in Rom und das Treffen mit ehemaligen Schülern. Ein prägendes, ganz spezielles Erlebnis war das persönliche Treffen mit Papst Franziskus. Das Hauptaugenmerk richte ich vor allem aber auf die Ostschweiz und ihre Beziehungen zu Baden-Württemberg, Bayern, Vorarlberg oder zum Fürstentum Liechtenstein, welche vor allem für unsere Unternehmen von grosser Bedeutung sind.

 

Eilen Sie von Höhepunkt zu Höhepunkt oder erleben Sie auch weniger Erfreuliches?

Bischofberger: Neben den zahlreihen offiziellen Repräsentationen und interessanten Begegnungen ist man in unserer Funktion auch eine Art Klagemauer für die Bevölkerung. Als Innerrhoder bin ich mich auch politisch kurze Wege gewöhnt. So versuche ich auch – wenn immer möglich – zu helfen und zu unterstützen. Als Ständeratspräsident musste ich aber auch lernen, gewisse Sachen auch im Raum stehen zu lassen. Das hinterlässt Enttäuschte und teilweise wirklich Besorgnis erregende Reaktionen. Manche haben das Gefühl, dass wir Kraft unseres Amtes Entscheide anderer Institutionen – beispielsweise von Sozialämtern – einfach korrigieren können.

Stahl: Ich bin seit 18 Jahren für eine Partei Nationalrat, die sich hin und wieder exponiert. Ich bin mich unanständige und verletzende Reaktionen von unzufriedenen Bürgern gewohnt. Als grösste Schwierigkeit empfinde ich, die Flut an Einladungen. Wir können nicht überall teilnehmen und enttäuschen Leute. Das tut mir sehr leid. Denn jemandem Zeit zu schenken, ist das Grösste.

 

Apropos Zeit: Sie haben schon als Turner und nicht erst als Politiker Zeit miteinander verbracht.

Bischofberger: Das stimmt. Beide Waren im Turnvereinen Jugileiter – Bundespräsidentin Doris Leuthard übrigens auch. Jürg und ich sind uns schon damals an Kursen begegnet. Danach waren wir Präsidenten der Kantonalverbände und haben in Kommissionen zusammengearbeitet.

 

Hat Sie die Tätigkeit im Sport geprägt?

Stahl: Auf jeden Fall. In unseren Vereinen lernt man den Mechanismus unserer Demokratie. Präsidenten, Finanzchefs, Kommissionen: Was es in Bern gibt, gibt es einige Schuhnummern kleiner im Verein. Prägend war auch, dass wir schon als Junge viel Verantwortung tragen durften. Wir haben dort unser Handwerk gelernt, wo es nicht um Geld, Prestige oder Machtansprüche geht. Vielmehr haben wir es einfach als Selbstverständlichkeit angeschaut, einen Beitrag fürs Dorf zu leisten. Es ging uns um Zusammengehörigkeit, ums Dabeisein und den Austausch. Deshalb verkörpern wir vielleicht auch die Antithese zu all jenen, die meinen, dass man sich in politische Ämter einkaufen kann.

Bischofberger: Im Sport allgemein wie auch in der Vereinsund Verbandsarbeit im Besonderen lernt man die direkt-demokratischen Prozesse, ja die politische Arbeit eins zu eins. Ähnlich der Landsgemeinde-Demokratie lernt man die Art der politischen Arbeit, die dem Bund den Erfolg gebracht hat. Nämlich sachlich fundierte Vorschläge zu machen, zu diskutieren, zu entscheiden und dann vor allem auch mitzutragen. Dabei hilft es wenig, wenn man aus ideologischen Gründen einfach auf einer Position beharrt und zu keinem Konsens bereit ist. Im Gegenteil, man wird unweigerlich scheitern. Wenn man sich mit Überzeugung in eine politische Vorlage reinkniet, ist es einem nicht egal, wenn diese zwei oder drei Jahre später in der Schlussabstimmung oder vom Volk abgelehnt wird. Man will etwas schaffen, das Zukunft hat.

 

Allenthalben beklagen Vereine, dass ihnen ehrenamtliche Helfer fehlen. Ist das Milizsystem in Gefahr?

Stahl: Es werden immer noch jährlich 650 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit geleistet in der Schweiz. Die Tendenz ist zwar rückläufig, aber ich sehe das Milizsystem nicht in Gefahr. In der Vereinslandschaft hat es schon immer Veränderungen gegeben. Bereits mein Grossvater war Präsident des Zürcher Turnverbandes und mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Damals war die Vereinbarkeit mit dem Aktivdienst ein Thema, heute die Vereinbarkeit mit der Familie. Wichtig scheint mir, den Ehrenamtlichen Wertschätzung zukommen zu lassen. Heutzutage haben wir die Tendenz, Spezialisten zu generieren. Die Generalisten, die sich in der Wirtschaft, Politik, Familie und Verein engagieren, stehen unter Druck. Es sollte immer noch möglich sein, Mehrkämpfer zu sein.

 

Wie zeigen Sie Ihre Wertschätzung?

Bischofberger: Aktuell vor allem, indem Doris Leuthard als Bundespräsidentin, Jürg Stahl als Präsident des National- und ich als Präsident des Ständerates am kommenden Samstag, 17. Juni, Personen, die sich in den verschiedensten Sparten der Freiwilligkeit verdient gemacht haben, persönlich nach Bern – symbolisch ins Bundeshaus – einladen und damit ihrer äusserst wertvollen Arbeit sichtbar Wertschätzung und Respekt entgegenbringen wollen.

Stahl: Das ist eine weitere gute Gelegenheit ehrenamtlich Engagierten Danke zu sagen. Sie glauben gar nicht, wie oft ich zu hören bekomme: «Endlich sagt es mal einer.»

 

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